Triller
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István Örkény: Triller (2020)

 

 

István Örkény: Frau Wolf

 

So lange das Frühstücksei kocht … lesen Sie eine Minutennovelle!“ (István Örkény)

 

Diese Gebrauchsanweisung im Stile der 50-er Jahre Werbung gab der ungarische Schriftsteller István Örkény (1912 - 1979) für seine skurrilen Novellen. Sie lesen sich schnell, aber dann gehen sie einem lange nicht aus dem Kopf, ihr Ende bleibt offen und zwingt uns, sie weiterzudenken. Denn in diesen wenigen Zeilen ist die Essenz eines Lebens, die Absurdität der menschlichen Existenz oder einer Epoche festgehalten. Sie beginnen banal, wie wir es alle aus unserem alltäglichen Leben kennen, aber diese normalen Widrigkeiten führen durch eine kleine Verschiebung blitzschnell ins Surreale und Absurde.

Etwa 400 solche „Minutennovellen“ schrieb Örkény zwischen 1930 und 1968 und gilt damit als Erfinder dieser Gattung. Kenner zeitgenössischer Künstlerbücher fragen sich jetzt sofort: „War der Erfinder nicht vielmehr Daniil Charms, der gerade in so vielen Künstlerbüchern eine Renaissance erlebt? Könnte man nicht seine bereits vor Örkény entstandene groteske Kurzprosa genauso charakterisieren?“

Doch. Und auch die Lebensbedingungen der beiden. Die zwei Kriege, die Diktatur, die Gegenüberstellung von Schein und Wirklichkeit, das Versteckspiel vor der Zensur und das Schreibverbot, die in der Sowjetunion bereits ab den 30-er Jahren das „real Existierende“ bestimmten, tradierten sich in den Ostblockländern der 50-er und 60-er weiter. Der Osteuropäer bewegte sich, wenn auch nicht mühelos, aber wie selbstverständlich zu diesen Zeiten in der Welt des Absurden. Die Klassiker der osteuropäischen Moderne versuchen, das Leben zu überleben und die Absurdität des Daseins festzuhalten.

István Örkény, der als Jude in einem Arbeitsbataillon an der russischen Front diente und anschließend immer wieder mit Schreibverboten belegt wurde, musste (und konnte auch nicht) Charms kennen, um die Form der Minutennovellen zu entdecken. Die banalen Situationen in den wenigen Zeilen boten der Zensur ein Minimum an Angriffsfläche, die eigentliche Geschichte fand zwischen den Zeilen und nach dem Endpunkt statt. Osteuropäische Leser waren gut trainiert im „Zwischen-den-Zeilen-Lesen“, sie erwarteten und fanden diese Inhalte sogar dort, wo ursprünglich keine waren.

Genau diese Leerstellen bieten sowohl bei Örkény wie bei Charms Buchkünstlern die großartige Möglichkeit, eine Geschichte nicht nur zu illustrieren, sondern zu entfalten, gestalten und weiterzudenken. So fiel unsere Wahl nach mehreren „Charms-Büchern“ dieses Mal auf eine Minutennovelle von István Örkény, und wir hoffen, ihn mit diesem Buch in Deutschland bekannter zu machen. In Ungarn braucht man es nicht. Seine Schriften waren im Handumdrehen populär, man erzählte sie in der „besseren Gesellschaft“ wie Witze, die der Zeit den Spiegel vorhielten.

Péter Esterházy sagte über Örkénys Kürzestnovellen, so also sähen jene Gedichte aus, die man nach Auschwitz nicht schreiben konnte. Eine Tulpe, die sich vom Fensterbrett stürzt, weil sie keine Tulpe mehr sein will, Dr. K.H.G., der nach der Erwähnung des dritten deutschen Klassikers im KZ vom Wächter erschossen wird, oder eben Frau Wolf …

 

Dr. Klára Erdei

 

 

 


Gesamtauflage: 33
Seitenzahl: 16
Breite: 21 cm Höhe: 30 cm
Art der Grafik: Filzstiftzeichnung
Sprache des Textteils: Deutsch, Ungarisch

Druck: Digitaldruck

Art der Bindung: Fadenheftung auf Schnur
Einband: Heft